Abstecher in die dunkle Stille der Feuerle Collection
In der privaten Sammlung von Désiré Feuerle, neben der Spree und unter der Erde, taucht man ab in eine einzigartige Form der Ausstellung. Zwischen Khmer-Statuen, antiken chinesischen Möbeln und moderner Kunst wird der Parcours selbst zum choreografierten Erlebnis von Ruhe und Besinnlichkeit. Die wenigen aber wohl kombinierten Stücke entspannen einen stummen Dialog zwischen Altem und Neuen, zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem, zwischen Vergänglichem und Ewigkeit. In der Architektur eines Berliner Kriegsbunkers wird die Sinnlichkeit der Kunstwerke von der Logik des Monumentalen gerahmt.
Am Anfang war die Stille
Während des Besuchs bleiben die Mobiltelefone stumm in den Taschen und werden auch nicht zum Fotografieren herausgeholt. Geistige und körperliche Präsenz ist der Schlüssel zu einer Wahrnehmung, die sich vom Zeitgefühl befreit auf den Moment einlassen kann. In einem völlig dunklen Vorraum lauschen wir der Komposition Music for Piano #20 (1953) von John Cage, die 2:30 Minuten dauert. Einzelne Töne erklingen, hallen wider und bereits nach gefühlten 30 Sekunden ist das Stück vorbei und die Augen erkennen den Durchgang zum nächsten Raum.
Die fokussierte Stille wird in dieser Sammlung zur körperlichen Erfahrung. Und das ist selten: Stille als ein wesentliches und bewusst eingesetztes Gestaltungselement der gemeinsamen Kunstbetrachtung. Durch sie wird man als Wandlerin durch die Räume auf sich selbst zurückgeworfen und es entsteht eine intime Atmosphäre, in der die Sinne deutlich geschärft sind. Natürlich verdankt sich die ungestörte Konzentration auch dem Umstand, dass höchstens 14 Menschen an einer Sammlungsführung teilnehmen können.
Von Asien in die ganze Welt und nach Berlin
Im ersten großen Saal, durch dessen Glaswand man in den wassergefüllten Lake Room blicken kann, stehen gut zwei Dutzend Khmer-Statuen auf Sockeln und in Vitrinen zwischen den Stahlsäulen. Sie reichen bis ins 7. Jahrhundert zurück und finden in den wuchtigen Gebäude-Elementen eine Entsprechung, die ihre Beständigkeit und Unerschütterlichkeit unterstreicht. Dazwischen ruhen Steinmöbel aus der Han Dynastie (200 v. Chr.–220 n. Chr.). Das älteste Stück der Sammlung ist 2000 Jahre alt: eine Sitzplatte aus Marmor, die dem Kaiser vorbehalten war. Auch moderne Kunstwerke, wie Torus von Anish Kapoor, wirken harmonisch in die Atmosphäre eingebettet, als ob sie Zeitgenossen der Antiken wären.
Diese stummen Zeugen der Vergangenheit werden schwarz-weißen Kinbaku-(Bondage-)Fotografien von Nobuyoshi Araki gegenübergestellt. Auf Englisch reimen diese Assoziationen sich wunderschön: Silence and Violence. Doch je länger man sie gemeinsam betrachtet, umso stärker verkehren sich die Motive. Die uralten Herrschaftsmöbel beginnen laut von der Gewalt der Menschheitsgeschichte zu sprechen, während die gefesselten Frauenkörper sinnlich schwebend über ihr erotisches Geheimnis schweigen.
Subtile Reize füllen die Leere
Ruhe und Bewegung bilden ein weiteres Gegensatzpaar. Im oberen Stockwerk treten weitere Fotografien von Araki und von Adam Fuss mit alten Holzmöbeln aus der Qing-Dynastie (1644–1912) in Dialog und verleihen den Objekten etwas unerhört Sinnliches. Menschliche Sexualität erscheint grotesk erstarrt, hingegen beginnen die Möbel fast erotisch zu flackern, zu flimmern und zu vibrieren. Als wohne ihnen die Lebenswärme ihrer Besitzer*innen nach Jahrhunderten noch inne. Die Formen fließen ineinander, während aufsteigender Rauch auf Silbergelatineabzügen festgehalten wird. Alle Objekte wirken organisch, ihre Essenz ist die Eleganz, ihre Aura vermittelt historische Autorität.
Zu den Exponaten gibt es keine Texte. Désiré Feuerle hat sie selbst arrangiert und die Lichtstimmungen gewählt. Jede Arbeit ist individuell in Szene gesetzt und erhält dadurch ausreichend Raum und Rahmen, um lange und intensiv zur Betrachterin zu sprechen. Zugleich sind die Objekt-Bild-Paare Installationen in sich. Das Wechseln der eigenen Position im Raum verwandelt sich so in ein assoziativ aufgeladenes Flanieren durch einen Skulpturenpark der Möbel, Bilder und Historie.
Ein Zeitloch in der Großstadt
Die Feuerle Collection wurde 2016 eröffnet und befindet sich im BASA-Bunker, der im Zweiten Weltkrieg von der Reichsbahn als Telekommunikationszentrale erbaut wurde. Das Gebäude liegt am Landwehrkanal mitten in Kreuzberg und wurde für Feuerles privates Museum innen vom britischen Architekten John Pawson umgebaut. Die Führungen dauern eine Stunde inklusive einer kurzen Einführung. Wer einmal am helllichten Tage aus dem hektischen Treiben der Stadt ausbrechen möchte, der sollte in dieses dunkle Zeitloch hinabsteigen, das den Geist umso klarer wieder heraufsteigen lässt.
The Feuerle Collection
Hallesches Ufer 70 – Berlin Kreuzberg
Besuch nur nach Anmeldung unter:
www.thefeuerlecollection.org