Carolin Emcke: Raster des Hasses

Ein Themenstrang der diesjährigen re:publica-Konferenz vom 2. bis 4. Mai widmete sich #hatespeech im Internet. Zu diesem Stichwort war auch die Publizistin Carolin Emcke eingeladen, eine Rede zu halten. In „Raster des Hasses“ befasst sie sich mit dem aktuellen rechten Populismus in Deutschland und der Struktur von Hass in den Medien, Hass in den sozialen Netzwerken und Hass auf den Straßen im Allgemeinen. Im Herbst erscheint Dazu ihr Buch “Gegen den Hass” im Fischer-Verlag .

Carolin Emcke bei der re:publica 2016. Carolin Emcke bei der re:publica 2016.

Ihrem typischen, philosophischen Ansatz folgend bietet Emcke in ihrer Rede keine vermeintlich alternativlosen Positionen oder eindeutigen Antworten, sondern unternimmt vielmehr den Versuch, erst einmal die richtigen Fragen zu stellen. Fragen, um das Phänomen des Hasses zu verstehen und dann eine Analyse seines Ursprungs und seiner Wirkung zu entwickeln. Und sie bezieht dabei auch ganz klar Stellung gegen Rechtspopulismus, Diskriminierung und für Vielfalt und Toleranz. Dafür erntet sie auf der re:publica immer wieder lauten Beifall zwischendurch.

Wie der Hass funktioniert

Emcke zeigt auf, dass das Ziel des populistischen Hasses immer Menschen sind, die bestimmten kategorisierten Identitätsgruppen zugeordnet werden, also beispielsweise „die Juden, die Frauen, die Ungläubigen, die Schwarzen, die Lesben, die Geflüchteten, die Muslime“. Es sind aus Sicht der Hassenden, welche selber Angehörige einer Mehrheitsgruppe sind, immer irgendwie Fremde oder Andere. Diese Anderen stellen scheinbar eine Bedrohung des Eigenen dar und verallgemeinernde, negative Aussagen über diese Gruppen rechtfertigen letztlich Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt.

Dieser unpersönliche Hass sei dabei weder spontan noch originell, sondern greife jahrhundertealte Stereotype wieder auf, die bestimmen, wer überhaupt zum hassenswerten Objekt werden kann, so Emcke. Dass diese Muster heute noch wirken und die Assoziationsketten sofort jedem vertraut sind, zeige, wie geplant und strukturiert der Hass von Populisten angetrieben und am Leben erhalten werde. Keineswegs sei er ein Zufallsprodukt, sondern verweise auf historische Ideologien und Positionen und deute damit auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung hin. Die ungeregelten und teils anonymen Räume im Internet böten lediglich eine sicherere Plattform um diese ungefilterten Emotionen hinauszubrüllen. Das sei das Neue und Sichtbare am aktuellen Hass-Phänomen.

Publikum bei der re:publica 2016. Publikum bei der re:publica 2016.

Hass oder freie Meinungsäußerung

Emcke weist auch darauf hin, dass die Frage der Zensur sich gar nicht stelle, sondern eher jene nach den sozialen Kommunikationsregeln mit denen wir leben wollen. Emcke hält es für keinen „zivilisatorischen Zugewinn“, wenn jede „innere Schäbigkeit“ laut herausgebrüllt wird, und zwar weil solchen Affekten die öffentliche oder politische Relevanz abgehe. „Als sei Hass irgendwie authentischer als Achtung,“ sagt Emcke und weist daraufhin, dass die Hassenden keinerlei Interesse an Fakten, Argumenten und Diskussionen habe. Der Hass habe lediglich die Funktion, einige auszuschließen und andere einzuschließen. Er mache manche Menschen unsichtbar oder zumindest weniger menschlich und daher auch weniger schutzbedürftig oder der Achtung würdig.

Techniken des Sehens

Am Beispiel von Clausnitz untersucht Emcke, was die Hassenden in den Flüchtenden wohl sehen oder nicht sehen: „Sie schauen auf verängstigte Menschen und merken weder Angst noch Menschen. Was für Techniken des Aus- und Überblendens braucht es dafür? Welche ideologischen, emotional-psychischen Voraussetzungen formen diesen Blick, der Menschen als Menschen nicht sieht?“ Nicht unsichtbar, sondern als „etwas Hassenswertes“ werden sie wahrgenommen, als etwas, das genug Bedeutung hat – als Bedrohung oder Feind – um die Emotionen und Aktionen in den brüllenden Clausnitznern überhaupt mobilisieren zu können. Denn Hass ist eben jenseits von Gleichgültigkeit – sonst wäre das Objekt des Hasses lediglich belanglos, unwichtig, nebensächlich und es gäbe es nicht so eine heftige Reaktion.

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In den Augen der Hassenden bleiben die Gehassten somit zwar als individuelle Personen, mit einer eigenen Geschichte und vielfältigen Interessen und Charaktereigenschaften, unsichtbar. Sichtbar hingegen bleiben sie als Andere, als Nicht-Wir, als etwas Abtoßendes, als gefährliches Kollektiv, das bekämpft werden soll. Doch dies, so Emcke, sei eine Umkehrung der tatsächlichen Machtverhältnisse, schließlich haben Flüchtende weder Besitz noch Sprache noch ein Zuhause. Wovor sich die „vermeintlich Ohnmächtigen“ der deutschen Mehrheitsgesellschaft also fürchten, bleibe unklar.

Medien und die Struktur der Vorurteilsbildung

Hass trete immer in einem Kontext auf, analysiert Emcke weiter, und seine Gründe müssen bekannt sein und wiederholt werden, damit sie plausibel und geglaubt werden. Das ist es, was man eine Ideologie nennt, zum Beispiel Rassismus: „Flüchtende werden nie als gleichwertige Menschen mit Würde sichtbar.“ Es gibt in den Medien keine Bilder und Meldungen über Migranten im positiven oder zumindest banalen Sinne und niemals Individuen mit Vorlieben und Vorstellungen, die gar nicht so anders und fremdartig sind oder zumindest nicht kriminell oder bedrohlich. Es gäbe nur Stellvertreter für alle und die seien immer Fallbeispiele um die „Schlechtigkeit des ganzen Kollektivs“ zu beweisen. Immer sei der Islam, die Zuwanderung, die kriminelle Energie von Natur aus Schuld.

Noch vor dem tatsächlichen Hass führten diese verallgemeinerten, negativen Stereotypen zu einer Einschränkung der Wahrnehmung: da die „Anderen“ (Flüchtende, Ausländer, Muslime, etc.) so gut wie ausschließlich als Terroristen oder Barbaren oder Gewalttätige dargestellt werden, könnten sie kaum mehr als Individuen wahrgenommen werden. Emcke nennt es eine „Verstümmelung der Fantasie“. Sie lädt zu einem Gedankenexperiment ein: Was wäre, so fragt sie, wenn Christen nur dann erwähnt würden, wenn sie Verbrechen begingen und ihre Religion immer als Ursache dafür genannt würde? Was, wenn wir unter der Überschrift des Christentums nur den Ku-Klux-Klan, radikale Abtreibungsgegner und individuelle Straftaten wie Missbrauch von Kindern und Banküberfälle kennen würden?

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Ein Plädoyer für Aufklärung und Toleranz

„Das gab es alles schon einmal“, mahnt Ecke. Und gibt abschließend zu bedenken, dass auch jene, die nicht brüllen, sondern sich eine bürgerliche Fassade geben aber letztlich nicht gegen den Hass Stellung beziehen, eine solche Rhetorik nähren, egal ob in den Medien oder in der Politik. Über diese Untätigen sagt Emcke: „Sie hassen nicht selbst, aber sie lassen hassen.“

Ein offenkundig bescheidenes aber effektives Mittel gibt Emcke den Zuhörer am Ende doch noch mit auf den Weg: „Beobachten, differenzieren, Selbstzweifel.“ Damit lasse sich dem Hass begegnen, um den Hassenden zumindest das Gefühl der Selbstgewissheit zu nehmen. Dann, so Emckes Hoffnung, verkehrten sich die Verhältnisse wieder in etwas, was man Zivilisation nennen könne: Die Hassenden und Gewalttätigen müssten sich für ihre Positionen  und Aktionen rechtfertigen und nicht jene, die in Not sind oder sich leise human engagieren.

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Carolin Emcke „Gegen den Hass“
Erscheint am 16. Oktober 2016 im S. Fischer Verlag

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