Diese Musik ist Kino fürs Ohr

Auf der Bühne ein schwarzer aufgeklappter Flügel, ein Schlagzeug und einige halbkreisförmig angeordnete Stühle. Als Benjamin Clementine schließlich in lilafarbenem, glänzendem Samtjackett die Bühne betritt, verstummt das ausverkaufte bestuhlte Tempodrom augenblicklich. In seiner eigentümlichen Haltung nimmt er Platz: sehr hoch sitzend, von seitlich oben mit in Richtung Publikum verdrehtem Hals ins Mikrofon singend, barfuß und mit verträumt abwesendem Blick.


Der britische Musiker eroberte 2013 mit seinem Debütalbum „Cornerstone“ sofort die Kritikerherzen: direkte britische Lyrik, melancholische französische Chansons, dramatische italienische Oper, und broadwayeskes Musical-Songwriting – Clementine ist Kino fürs Ohr. Man hört die Stationen seines Lebens, die Großtstadteinsamkeit aus London, das Leben auf der Straße in Paris, die kämpferische und introvertierte Seele eines selfmade Künstlers. Dabei wirkt Clementine auf der Bühne zweitweise extrem schüchtern und verletzlich, wenn er nur flüsternd und kichernd mit dem Publikum spricht. Nur um dann im nächsten Moment selbstbewusst und ernst seine Songs zu schmettern. Emotionale Extreme, wie sie auch aus seiner Musik sprechen. Das Konzert, das eigentlich am 17. Juli stattfinden sollte, war aufgrund von Terminproblemen auf den vorgestrigen Abend verschoben worden.

Clementine beginnt alleine mit „Then I Heard a Bachelor’s Cry“, dem zweiten Song seines aktuellen Albums „At Least for Now“ aus dem Jahr 2015. Gewaltig. Diese Stimme klingt live noch viel voller, rauer und facettenreicher als auf Platte. Fast meint man, in den eigenen Rippen das Beben der Basstöne zu spüren, wenn Clementine von den sanft hohen Tönen im Sturzflug in sein tiefstes Stimmenregister fällt. Beim zweiten Song des Abends „I Won’t Complain“ zeigt Clementine auch, dass er solo und wahrscheinlich sogar a capella ein ganzes Stadion füllen könnte. Überhaupt ist diese Virtuosität noch vor seiner unverwechselbaren Stimme selbst und dem einzigartigen Musikstil das Beeindruckendste am Können des Londoners: er gleitet in improvisierten Rhythmen durch unkonventionelle Tonfolgen, wechselt von zartestem Flüstern in seine durchdringende Bruststimme und stürzt von lang gehaltenen Tönen in fast sprechgesangartige Poesiezeilen. Und für diese Bandbreite ist im Tempodrom eindeutig mehr Platz als auf den Tonspuren einer Studioaufnahme. Dazu bearbeitet er das Klavier zeitweise als wäre es ein Percussion-Instrument zum Draufhauen, nur um dann wieder in zätzlichen Akkordfolgen über die Tasten zu streichen.

Mit dem dritten Song des Abends „Condolence“ betritt auch Schlagzeuger Alexis Bossard die Bühne. Auch er ist barfuß. Er spielt ausgezeichnet und bereitet Clementine mit seinem subtilen perkussiven Stil einen warmen, breiten Teppich, auf dem dieser mit der Stimme umso mehr rhythmisch improvisieren kann. Außerdem hat Clementine diesmal noch ein kleines Streichorchester dabei. Gemeinsam zaubern sie alle eine wundervolle Live-Version des Albums und spielen noch zwei neue Songs. Nach jedem Song knistert es im Saal nur so vor Ehrfurcht und man spürt neben der Begeisterung auch, dass dieser fast etwas kindlich wirkende Musiker nicht nur die Ohren, sondern dank seines sympathischen Wesens auch die Herzen seiner Zuhörer einnehmen konnte.

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Web: benjaminclementine.com
Facebook: facebook.com/benjaminclementine
Label: Capitol (US), Behind/Virgin EMI (UK)
Management: partisanmanagement.com

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