Sprachrohr der generation y
Wie der Name, so das Programm: ein fulminanter Sturm an Beats, Reimen und Emotionen. Anders kann man Kate Tempests Berlin-Konzert gestern nicht beschreiben. Die britische Dichterin stellte am Mittwoch mit ihrer Band im Astra ihr neues, zweites Album „Let Them Eat Chaos“ vor, ein Hybrid zwischen Roman und epischem Gedicht in Form von Rap-Tracks. Und die Menge tobte, tanzte und johlte.
Die Rapperin, Poetin und Schriftstellerin Kate Tempest aus London ist ein Multitalent mit außergewöhnlicher Beobachtungs- und Einfühlungsgabe. Spielerisch wechselt sie zwischen den Genres Rap, Hip-Hop, Spoken Word, Poesie und Prosa und liefert dabei mit messerscharfer Zunge eine präzise Beobachtung ihrer Generation und Gesellschaft. Auch wenn sie dem kapitalistischen Konsum-, Klassen- und Krisen-Kult dabei klar den kritischen Spiegel vorhält, verliert sie nie die Empathie für das Einzelschicksal oder verfällt in platte, moralisierende Urteile.
Auf ihrem aktuellen Album „Let Them Eat Chaos“ erzählt Tempest die Geschichte von sieben Protagonisten aus London, die alle zur gleichen Zeit nicht schlafen können. Wir tauchen nacheinander in die Gedankenwelt jedes einzelnen Charakters ein und erleben so das einsame, sinnentfremdete und ohnmächtige Lebensgefühl westlicher Großstadtmenschen. Nie reicht das Geld, nie scheinen die Träume erfüllbar, nie findet sich ein Weg raus aus dem Hamsterrad – und so bleiben alle in London und in sich selbst gefangen. Und halten das System am Laufen.
„Let Them Eat Chaos“ liest sich auch in reiner Buchform wundervoll, doch mit dem Soundtrack zum Gedicht, den das Album liefert, erwacht die Szenerie viel eindringlicher zum Leben. Nicht zuletzt, weil Tempests Vortragsstil so unter die Haut geht und im Hintergrund der Sound von London den Moloch zum Mitprotagonisten macht. Mal wütend, mal zärtlich, mal nachdenklich – aber immer mit elektrisierender Spannung.
Kate Tempest wirkt unglaublich ungefiltert und ehrlich auf der Bühne. Da scheint es kein Bühnen-Alter-Ego zu geben, kein Blingbling oder vordergründiges Stilkonzept. Da stehen schlicht Tempest und ihre Musiker und feuern Gedichtzeilen und Töne als direkte Emotion ab. Diese mitreißende Präsentation samt sprachlicher Raffinesse und sozialkritischer Botschaft machen die Wucht ihrer Arbeit aus.
Einer größeren Öffentlichkeit wurde Kate Tempest 2011 mit „Balance“, dem ersten Album ihrer damaligen Hiphop-Band „The Sound of Rum“, bekannt. Die Kritiker der etablierten Kanäle wurden dann spätestens 2013 auf sie aufmerksam, als ihr epische Gedicht „Brand New Ancients“ in Buchform erschien, für das sie den renommierten Ted Hughes Award erhielt. Im Jahr 2014 folgte der Gedichtband „Hold Your Own“ und ihr erstes Solo-Album „Everybody Down“. Anfang 2016 erschien ihr erster Roman „The Brick That Built The Houses“ – ein grandioses Portrait einer Generation und der Stadt London zugleich. Nun im September dieses Jahres schließlich wurde „Let Them Eat Chaos“ veröffentlicht. Man darf einfach nur auf immer mehr hoffen.
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Kate Tempest: Let Them Eat Chaos
Album: Caroline Records (Universal Music)
Buch: Picador Verlag
www.katetempest.co.uk
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