EINE JAZZ-SYMPHONIE In der eventbude
Kamasi Washingtons Album „THE EPIC“ war für viele das Album des Jahres 2015, zumindest das Jazz-Album des Jahres. Denn der Tenor-Saxofonist aus Los Angeles hat für dieses Dreifach-Album eine lebende Hall-of-Fame an Jazz-Musikern zusammengebracht. Eine kreative Blase, wie sie die Westküsten-Szene um Kamasi Washington derzeit darstellt, explodiert nur alle paare Jahre und stellt in diesem Falle die Weichen für eine neue Ära des Jazz. Nun war Washington mit dem Album auf Tournee und beehrte Berlin im Astra Kulturhaus.
KAMASI WASHINGTON UND BAND. @ WWW.KAMASIWASHINGTON.COM
Der Werdegang von Kamasi Washington ist so überraschend nicht: Musikereltern, musikalische Schulausbildung, kreative Großstadtszene, erfahrene Mentoren. Bereits 2005 veröffentlichte Washington sein Debüt Live at 5th Street Dick’s, 2007 und 2008 folgten weitere in Eigenregie zu Hause aufgenommene Platten, The Proclamation und Light of the World. Später spielt er Saxofon auf Erfolgsalben wie You’re Dead von Flying Lotus, To Pimp A Butterfly von Kendrick Lamar oder The Beyond / Where the Giants Roam von Thundercat.
Von Anfang an dabei im musikalischen Dunstkreis waren Miles Mosley am Akustik-Bass, Tony Austin und Ronald Bruner Jr. an den Drums, dessen Bruder Stephen Brunner alias Thundercat am E-Bass, Brandon Coleman an den Keys, Cameron Graves am Klavier, Ryan Porter an der Posaune, Kamasis Vater Rickey Washington am Sopran-Saxofon und Patrice Quinn mit ihrer ungewöhnlichen Stimme als Lead-Sängerin, die klingt als hätte sie ihr Leben im Studio und auf der Bühne gestanden, obwohl sie ausschließlich auf den Veröffentlichungen von Washington und einiger Freunde zu hören und sonst nicht als Musikerin in Erscheinung getreten ist.
KAMASI WASHINGTON. © BRUNO BOLLAERT.
Für das Megaprojekt The Epic (Spieldauer: 2 Stunden und 53 Minuten) hat Washington sich Unterstützung bei Flying Lotus‘ Label Brainfeeder und weiteren Stars geholt: Der Stimmakrobat Dwight Trible stößt als Lead-Sänger hinzu. Leon Mobley an den Percussion heizt zusätzlich zu den zwei Schlagzeugern ein, Igmar Thomas bläst die Trompete. Die neuen Kompositionen sind für ein volles Ensemble samt Chor und Streicher geschrieben. Die Produktion übernimmt Washington, neben Komposition und Arrangement, gleich selbst. Tony Austin fungierte auch als Toningenieur. Einige Leitmotive und Tracks von The Epic lagen bereits 2005 vor und wurden nun von Washington überarbeitet und neu aufgenommen.
Das einzige für Berlin angekündigte Konzert im Astra Kulturhaus war natürlich sofort ausverkauft und mit Spannung erwartete man womöglich ein Live-Event des Jahres zu erleben. Die Band, die die volle Breite der Astra-Bühne in Beschlag nimmt, spielt an diesem Abend allerdings nur etwa ein Drittel des Albums, die melodiösen eingängigeren Stücke, improvisiert erfreulicherweise viel und lang. Es ist nicht nur ein Fest für die Ohren, wenn die beiden Schlagzeuger mal exakt synchron, mal sich mit bei höllisch komplexen Rhythmen ergänzend ins Schwitzen geraten.
PATRICE QUINN LINKS, © CC.
Sängerin Patrice Quinn am linken Bühnenrand vermag es, sofort die Aufmerksamkeit des ganzen Raumes auf sich zu ziehen, wie sie da selbstvergessen tanzt und singt. Und Kamasi steht als Bandleader in der Mitte, gibt nur ganz selten und mit minimalen Gesten zeichnet, sieht überhaupt selten auf und scheint ansonsten in die Klanglandschaft hinter ihm abzutauchen. Doch die Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum wirkt allzu spürbar. Kein Funken springt über, keine Inspiration scheint vom Publikum auszugehen und die Musiker wirken eher routiniert als vom Moment angetrieben.
Ein paar Ansagen, die auf Black Lives Matter oder die Black Panthers Bezug nehmen, verebben in einem scheinbar wenig mit der Thematik vertrauten Publikum. Richtig tanzen sieht man die Leute auch nicht. Es ist ein bisschen, als ob alle nur in der Erwartung gekommen sind, an einem besonderen Abend teilzuhaben. Doch die hat sich durch Hoffen allein nicht erfüllt.
KAMASI WASHINGTON UND BAND. © CC.
Mir scheint es vor allem an einem zu liegen: Leider ist das Astra von seinem Klangverhalten her überhaupt nicht für anspruchsvolle Musik mit vielen Bläsern (oder Streichern) geeignet. Die Lautstärke ist wie fast immer einen Tick zu hoch, die Bläser klingen blechern und schrill, verschmelzen ab einer bestimmten Frequenz zu einem wirren Klangteppich, der Bass drückt und wummert enorm aber äußerst dumpf. Insgesamt dringt einem zwar eine beeindruckend reichhaltige Klangmasse in die Ohren, ein differenziertes Zuhören bei jedem einzelnen Musiker, jeder einzelnen Stimme bleibt einem an diesem Abend aber versagt.
ALBUMCOVER VON THE EPIC. © CHRIS EX.
Es ist schon schade, wenn Musik, die so viele feinen Nuance hat und Aufmerksamkeit fordert, durch eine ungenügende Soundpflege verhunzt wird. Vielleicht hätte man eine andere Location wählen müssen. Vielleicht ist das aber auch der Preis der Beliebtheit, um ein Massenpublikum aus Nicht-Musikern in Clubs bedienen zu können: dass aus einem tiefsinnigen Orchesterwerk eine mobile Bühnenshow wird.
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The Epic von Kamasi Washington
Release: 5. Mai 2015 auf Brainfeeder.
Weitere Tourdaten auf www.kamasiwashington.com.
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