Entdeckung im Markt der Gleichförmigkeit
Es wird entschieden unübersichtlich in dem Ein-Mann-und-seine-Gitarre-Universum des 21. Jahrhunderts. Das Gebot der Stunde lautet deshalb: Vielfalt, Individualität, Diversifikation. Die Lücke im Markt finden und füllen. Nanu, das klingt schon fast wie ein Gesellschaftsporträt im Wirtschaftsmagazin der Gegenwart. Oder die Selbstbeschreibung des Kunstbetriebs – was wahrscheinlich keinen Unterschied mehr macht. Bleiben wir im Duktus und fragen also nach der Strategie von JAMES VINCENT MCMORROW.
Der Name ist schon mal geglückt, wenn auch naturgegeben. Verwechslungen sind hier ausgeschlossen. Die Veröffentlichung von Early In The Morning ist taktisch auch ganz gut gewählt: noch vor dem FLEET FOXES-Release, aber bereits in den Konzertfrühling hinein. Der Vergleich drängt sich angesichts der ersten Takte des Openers ‚If I Had A Boat‘ erstmal auf: Mit Hall unterlegter, mehrstimmiger männlicher Kopfstimmengesang. Dann aber einige wüstenhaft angehauchte Solo-E-Gitarrennoten, dazu minimalistische Percussion im besten Desert-Rock-Stil und einige Momente später auch die Folk-Gitarre und dann sogar noch ein Banjo. Dazu MCMORROWS angerauhter, fragiler und doch klarer Gesang – und hier bringt sich die zweite Reminiszenz sofort in Erinnerung: BON IVER. Aber MCMORROW ist trotzdem eigen und ist großartig darin.
Mit ‚Hear The Noise That Moves So Soft And Low‘ wird klar, dieser Gesang ist kein Experiment, sondern ein Markenzeichen, ebenso wie der mehrstimmig eingesungene, leicht sakral angehauchte Stil. Das Banjo leider auch – es wirkt ein bisschen wie das zu groß, zu präsent platzierte oder einfach nur ästhetisch unpassend geratene Logo auf dem Produkt. Beim folgenden ‚Sparrow And The Wolf‘ dringt MCMORROW ein bisschen zu tief in Texas-Country. Das Gestampfe nivelliert leider seine markante Stimme und deren Obertöne und ist ja ohnehin, wenn man kein Faible für Cowboys und Rodeos hat, ein wenig anstrengend.
‚Breaking Hearts‘ ist ein netter Pop-Song, der allerdings zu wenig ausgefeilt ist, um aufzufallen. In ‚We Don’t Eat‘ wird auch das Klavier mal ausprobiert – allerdings (das ist wörtlich zu nehmen) nur ein Ton, durchgehend als Taktvorgabe. Naja, Pianoliebhaber gewinnt man damit nicht zum Zielpublikum hinzu. ‚This Old Dark Machine‘ ist wiederum ein wirklich starker Song, der beste der Platte – vielleicht weil endlich mal kein Banjo dabei ist. MCMORROWS Stimme entfaltet sich hier nochmal um einige Facetten, klingt teilweise in seiner leichten Angezerrtheit nach SCOTT MATTHEWS und PAOLO NUTINI. Die wunderschönen Harmonien in den Gitarren und die zweistimmige Songline schaffen trotz Mid-Tempo eine Spannung und einen Drive, der unwillkürlich zum Replay bewegt. Man erkennt hier dann auch die von ihm selbst angegebenen Einflüsse wie OTIS REDDING und CODY CHESTNUTT. In diese Richtung sollte der junge Ire unbedingt weitermachen.
‚Follow You Down To The Red Oak Tree‘ ist – bis das Banjo bei 1:30 wiederkommen muss – ein sehr persönlicher und überzeugender Solo-Song. Die spät einsetzenden und nur spärlich gesetzten Drums verhindern, dass das melancholische Lied in Wiederholung absumpft. Und in der nun auch bereits als durchgängiges Stilmittel erkannten Symbiose aus Percussion und im Hintergrund summendem Chorstimmen liegt eine der weiteren Stärken dieses Debüts. Man erkennt mittlerweile auch deutlich den Einfluss von WILL OLDHAM (aka BONNY PRINCE BILLY). ‚Down The Burning Ropes‘ baut fortgesetzt eine sich steigernde Spannung auf, leider kommt es nicht zur Entladung, sondern zur Aufösung. Man wünscht sich, dass dieser junge Mann mit dieser Stimme mal ein wenig ungezügelter wird; entzürnter; gerne auch mal einen kleinen Schrei von sich gibt. Vielleicht muss ihm einfach noch das Herz gebrochen werden, bevor die wundervoll schmerzverzerrten Poems kommen, die MCMORROW sicherlich zerreißend schön interpretieren könnte.
‚From The Woods‘ trägt die dunklere und bessere zweite Hälfte des Albums auf einem wummernden warmen Bass fort – das Album klingt an dieser Stelle am besten eingespielt. Und, welch Überraschung, MCMORROW schreit… ruft. Knapp am Ziel vorbei. Warum denn mit so viel darauf gelegtem Effekt und von um die Ecke und hinter dem Banjo? Naja, beim nächsten Mal hoffentlich roh, authentisch und ohne Firlefanz. Man kauft schließlich den Inhalt und nicht die Verpackung. Mit ‚And If My Heart Should Somehow Stop‘ liefert Early In The Morning noch die Ballade, die das romantisch verklärte Publikum betören wird. Und mit dem gleichnamigen Abschlusssong schließt das Debüt den Kreis wieder bei den fast als Soloinstrument benutzten Stimmbändern von MCMORROWs Kirchengesang. Das entlässt in eine inspirierte Abendstimmung, die den weiteren musikalischen Exkurs anregt.
Fazit: JAMES VINCENT MCMORROW hat eine Menge Talent und das Glück, stimmlich mit Besonderheit ausgezeichnet zu sein. Er muss sich aber stilistisch noch ein wenig formen, will er auf dem heiß umworbenen Markt des Singer-Songwriter-Folk auch bestehen. Early In The Morning fehlt noch ein Quäntchen Esprit und Kreativität, um sich zwischen der gewaltigen Konkurrenz zu profilieren. Aber man darf wirklich gespannt sein, was sich im Verlauf der angebrochenen Europa-Tour an Entwicklung zeigt und hoffen, dass MCMORROW diese Reife dann zu einem elaborierten Nachfolger des hier vorgestellten Prototyps umsetzt. Denn live, soviel verraten diverse Videos auf Marketingplattformen, klingt das Ganze wesentlich authentischer, raumfüllender und berührender.
(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)
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JAMES VINCENT MCMORROW
Early In The Morning
(Believe / Indigo)
VÖ: 08.04.2011
www.jamesvmcmorrow.com
www.myspace.com/jamesvmcmorrow
www.believedigital.com
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