A SERIES OF UTTERLY IMPROBABLE, YET EXTRAORDINARY RENDITIONS

Was haben so unterschiedliche Motive wie gelynchte Körper, Nina Simone und eine wütende, muskelbepackte Comic-Figur gemeinsam? Sie gehören zur kollektiven Bilderwelt Schwarzer Menschen. Und dieser Welt zwischen Grausamkeit und Genialität, Gewalt und Groteske spürt Multimedia-Künstler ARTHUR JAFA mit schonungslosen Bildern nach. Die JULIA STOSCHEK COLLECTION BERLIN lädt ein, die mediale Vielfalt seines Schaffen zu entdecken und über den Status von Bildern sowie die Allmächtigkeit des weißen Blicks nachzudenken.

Arthur Jafa’s Pledge of Allegiance (2018) | Courtesy of the artist and Gavin Brown’s enterprise.

Der amerikanische Filmemacher, Kameramann und Künstler Arthur Jafa hat sich eine Lebensaufgabe gesetzt: Er will für die Schwarze visuelle Kultur erreichen, was Schwarze Musik für das 20. Jahrhundert bedeutet – nichts weniger also, als ihr öffentlich den Stellenwert als Ursprung, Avantgarde und höchste Vollendung aller modernen Genres. Denn die Musik ist für Jafa der einzige Ort, an dem Schwarze Menschen nicht marginalisiert werden konnten: „How does one make art that has the power, beauty, and alienation of black music? And how would it be if black people were loved as much as black music?”

In Kunst und Kino aber sind Schwarze Menschen auch heute noch auf wenige Stereotype beschränkt. Das kreative Schaffen unter den Bedingungen des Schwarzseins in einer weißen Welt entstammt laut Jafa – und vielen seiner Schwarzen Vordenker*innen – einem Überlebensmodus. Improvisation, Avantgarde und Widerstand sind dabei existenzielle Werkzeuge.

Arthur Jafa’s LeRage (2017) | Courtesy of the artist and Gavin Brown’s enterprise.

Eine Schwarze Ästhetik oder kollektive Schwarze Kultur ist natürlich eine abstrakte Idee, völlig konstruiert, schließlich gibt es weder eine ethnische, noch staatsrechtlich oder sonstwie definierte Schwarze Nation oder Gemeinschaft – zumindest nicht die eine, auch nur annähernd homogene weltweit. Jafa spricht deshalb auch vom Schwarzsein („Blackness“) – nichts Afrikanischem also, sondern etwas Amerikanischem, das erst durch die unsichtbare Normsetzung des Weißseins entstand und sich in einer kollektiven Geschichte, Kultur und Imagination ausdrückt. Die Erfahrung der Ausgrenzung aufgrund spezifischer Vorurteile und Zuschreibungen ist also das konstitutive und gemeinsame Element, auf das mit dem Begriff verwiesen werden soll.

Wie bell hooks einmal sagte, stellt jede Arbeit von Jafa auf radikale Art die Frage: „Who’s looking and what do they see?“ Denn seine Arbeit führt eindrücklich vor Augen, dass es den objektiven Blick nicht gibt. Dass schon die Wahrnehmung mit Vorannahmen aufgeladen ist und unterbewusst durch Filter gepresst wird. Und dass diese Vorannahmen historisch nun einmal von weißen Menschen geprägt wurden, die an den Schaltstellen der Macht und Medien, also der Geschichtsschreibung, saßen und sitzen.

Indem Jafa den Standpunkt des Schwarzen Menschen in der visuellen Welt befragt, spiegelt er diesen weißen Blick. Dafür komponiert er visuelle Remixes aus Archivmaterial und Alltagsaufnahmen und arbeitet ausschließlich mit Found Footage. Durch seine Montage erzählt er Geschichte neu und überführt historische Bilder in andere Kontexte. Als Betrachtende ertappen wir uns ebenso in der Vertrautheit mit Stereotypen wie bei der Erkenntnis, welch fundamentale Lücken unser mentales Bilderarchiv aufweist.

Arthur Jafa’s Mickey Mouse Was a Scorpio (2016) | Courtesy the artist and Gavin Brown’s enterprise.

Die Film-Sound-Collage APEX ist das vielleicht zugänglichste Werk von Jafa und zugleich die perfekte Symbiose all seiner Stilmittel: Auf einen Techno-Track des Detroiter DJs Robert Hood ist eine schnelle Bilderfolge geschnitten. Die Aufnahmen stammen aus Magazinen, Film und Fernsehen, Comics und dem Internet. Von Jimi Hendrix, Lauryn Hill und Bob Marley über rituelle, afrikanische Masken und Sci-Fi-Filmausschnitte bis hin zu brutalsten rassistischen Gewaltszenen und Gangsterposen reicht das Bilder-Arsenal.

Der rasche Rhythmus erlaubt es gerade noch, die Bilder einzeln erkennen zu können und dadurch emotional auf das Gezeigte reagieren zu müssen, ist aber zu schnell, um es rational reflektieren zu können. Im Ergebnis erreicht Jafa eine affektive Verdichtung: Genie, Gewalt, Groteske – das kollektive Bilderarchiv über Schwarze Menschen oszilliert zwischen diesen extremen Polen. Langeweile, Banalität, Alltag, Normalität – das alles scheint es nicht zu geben.

Arthur Jafa’s Unbalanced Dyptich (2017) | Courtesy the artist and Gavin Brown’s enterprise.

Für die Ausstellung hat Jafa zudem Künstler*innen zur Kollaboration geladen, die mit ihren Arbeiten Selbstbilder und Neuinterpretationen der Geschichte in die Welt setzen. Hierzu gehören die Fotografien der New Yorkerin Ming Smith, Collagen der Norwegerin Frida Orupabo und Videos des YouTubers Missylanyus.

Während in der weißen Kunstwelt und Geschichtsschreibung noch immer der Mythos vom Original und vom Genie gepflegt wird, legt Jafa offen, woraus Kunst tatsächlich schon immer entstand – aus gegenseitiger Inspiration, Kollaboration und dem Remixen nämlich. Und möglicherweise zeigt sich hier tatsächlich auch ein allgemeines Kennzeichen Schwarzer Ästhetik: Die demütige Huldigung und Anerkennung der eigenen Vorgänger*innen und das gelebte Wissen darum, dass das Individuum ein Produkt aus seinem Umfeld und seiner Vorgeschichte ist.

A SERIES OF UTTERLY IMPROBABLE, YET EXTRAORDINARY THINGS
Arthur Jafa featuring Ming Smith, Frida Orupabo and Missylanyus
Curated by Hans-Ulrich Obrist & Amira Gad | Presented in partnership with the Serpentine Galleries, London
JULIA STOSCHEK COLLECTION BERLIN
11 FEBRUARY – 16 DECEMBER 2018

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