Die Utopie ist auch keine Lösung

Die Atomuhr steht im Jahr 2018 auf zwei Minuten vor zwölf. Narzisstische Männer wie Trump, Kim Jong-un, Putin und Ahmadinedschad haben das Kommando über die Atomsprengköpfe dieser Welt. Vor diesem Hintergrund inszeniert Yael Bartana in What If Women Ruled The World? eine weibliche Diskussionsrunde, die sich mit Geschlecht, Gender und dem Potenzial einer weltweiten Abrüstungsinitiative auseinandersetzt. Die bietet mit ihrer humanistischen Vision zwar eine wohltuende Abwechslung zu den täglichen Nachrichten, erscheint als Handlungsszenario aber meilenweit von Realpolitik entfernt.

Bühnenbild von What if Women Ruled The World? | Foto: Birgit Kaulfuss.

Für das utopische Szenario einer von Frauen geführten Nuklearmacht dient die Kulisse von Dr. Strangelove mit umgekehrten Vorzeichen: der War Room ist ein Peace Room, die Führungsriege ist komplett weiblich, Männer treten nur passiv und stumm auf und alle behandeln sich höflich und mit Respekt. Diese weibliche Supermacht hat sich der Abrüstung verschrieben. Soweit die Utopie. Nun der realistische Teil des Szenarios: Ein an Donald Trump angelehnter Mr. Twittler stellt seine Allmachtsfantasien über das Wohl der Völker und droht mit einem nuklearen Schlag. Was tun? Das ist die zentrale Frage dieses Sicherheitsrats, der aus Schauspielerinnen und fünf Expertinnen aus Politik, Wissenschaft, Armee, Campaigning und Zivilgesellschaft besteht.

Von den Bonobos zu Hollywood als Friedensstifter

Die überwiegende Zeit diskutieren die geladenen Expertinnen, wie Abrüstung und Deeskalation gelingen könnte. Von der staatlich gelenkten Grassroots-Kampagne und Bildungsinitiative in Hollywood über die Förderung der Zivilgesellschaft und Östrogen-Spionageattentate bis hin zur Quotenregelung und Rückkehr zum Matriarchat der Bonobos kommt hier alles auf den Tisch. Das Erquickende daran: Zu jedem Argument, gibt es ein ebenso gutes Gegenargument. Darin liegt die Stärke des Stücks: Die Expertinnen widersprechen sich und öffnen die Runde so für die Gedanken der Zuschauer*innen. Äußerst unterhaltsam sind auch die selbstironischen Bemerkungen über diese ausschließlich weibliche Runde, die auf Quote und Diversity achtet und Männer zur hübschen anatomischen Kulisse erklärt. Diese Momente sind Höhepunkte des Stücks, in denen auch das Publikum erleichtert auflacht, weil es versteht, dass dies alles hier keineswegs als moralische Anstalt gemeint ist, sondern als spitzer Kommentar auf die tatsächlichen Machtverhältnisse.

Präsidentin Olwen Fouéré | Foto: Birgit Kaulfuss.

Einigkeit herrscht schließlich darüber, dass ein Grundübel unserer Welt in der sogenannten „toxischen Männlichkeit“ liegt . Einigkeit herrscht, dass die nukleare Bedrohung heute wieder real ist. Einigkeit herrscht, dass Frauen in Konfliktsituationen (egal ob aufgrund von Natur oder Erziehung) häufiger auf Diplomatie, Empathie und Mediation setzen als auf Konfrontation und Ego und daher dringend als Vorbilder in Führungspositionen gebraucht werden. Einigkeit herrscht aber auch darüber, dass das Kriegerische im Wesen des Menschen steckt und Frauen nicht unbedingt von Natur aus pazifistischer sind als Männer. Und trotzdem herrscht keine Einigkeit darüber, wie mit der realen Bedrohung durch einen nuklearen Militärschlag umgegangen werden soll, solange es die Trumps dieser Welt noch gibt.

Anne Tismers als Außenministerin | Foto: Birgit Kaulfuss.
Die Theatralik überzeugt mehr als die Argumentation

Die Schauspielerinnen füllen den Rahmen hervorragend (vor allem Anne Tismers als naive moralische Gutmenschenseele auf dem Posten der Außenministerin bringt das Publikum immer wieder herzlich zum Lachen). Aber die Expertinnen sind nun mal keine geborenen Schauspielerinnen oder Rednerinnen. Sie argumentieren leidenschaftlich, bringen wertvolle Gedanken ein und können trotzdem in diesem Doku-Fiction-Format nur selten überzeugen – vielleicht, weil manche mit ihrem Bühnenauftritt zu kokettieren scheinen, was dem Ernst der Fragen nicht gerecht wird. Einzig Patricia Flor, Abrüstungsbeauftragte der Bundesregierung, würde ich im Notfall die Verantwortung für unsere Sicherheit übertragen. Sie meistert sowohl den Spagat zwischen Theater und Debatte glänzend als auch zwischen Idealen und Pragmatismus.

Vielleicht hätte eine rein theatrale Aufbereitung den Inhalten mehr Raum verschafft. Hier hält das Theater eine Lehrstunde für uns bereit und erklärt in Teilen auch, weshalb die Welt so ist, wie sie ist (nicht gerecht): Politik hat eben nicht viel mit Ethik und dem besseren Argument zu tun, sondern vor allem mit Charisma, Macht und Beziehungen. Man hätte sich einen dichteren und packenderen Austausch von Argumenten gewünscht (mehr Ernst) oder mehr Fantasien über eine andere mögliche Welt (mehr Komödie). So kommt weder Hoffnung auf eine bessere Zukunft auf, noch tritt eine Katharsis ein, die über die traurige Realität hinweg helfen könnte.

Die Expertinnen-Runde | Foto: Birgit Kaulfuss.

Am Ende des Abends bleibt die Einsicht, dass die Dystopie für viele Teile dieser Welt schon lange Realität ist. Es wird immer von Eigeninteressen geleitete Machthaber*innen geben und solange man sie nicht durch Waffengleichheit von kriegerischen Aktionen abschrecken kann, wird es Kriege geben. Sie finden „dank“ nuklearer Raketen und unserer Rüstungsindustrie nur nicht mehr vor unserer Haustüre statt, sondern werden nur noch im Globalen Süden geführt – mit Fassbomben, Maschinengewehren und Drohnen.

DERCON KÜNDIGT RÜCKTRITT AN UND TUT GUT DARAN

Gerade eben meldet die dpa den Rücktritt von Chris Dercon. Kultursenator Klaus Lederer und Dercon hätten sich auf den Rücktritt des neuen Intendanten geeinigt, weil sein Konzept für die Volksbühne nicht aufgegangen sei. Und man kann dies mittlerweile leider nicht mehr bestreiten – bei aller Sympathie für Dercon und seine Vision. Denn auch gestern sahen wir wieder ein eingekauftes Gastspiel, das zwar ein spannendes Format probierte, aber nicht so recht in das traditionsreiche Haus passte. Die Laiinn*en und Schauspielerinnen mussten sich auf eine Technik verlassen (Mikrofone/Kameras), die nicht immer zu 100 % funktionierte – das prononcierte Sprechen, große Gesten und die körperliche Bühnenpräsenz spielen bei dieser Form von Theater kaum mehr eine Rolle. Und so erfrischend es auch sein mag, einen internationalen Cast auf der Bühne zu sehen, so traurig ist es, dass niemand mehr aus dem Ensemble der Volksbühne mitspielt.

Auch dürften das Stück gestern nur jene mit sehr guten Englisch-Kenntnissen verstanden haben (wie flüsternde Kommentare um mich herum bestätigen), denn es gab keinerlei Übertitel, die Terminologie war anspruchsvoll, verschiedenste Akzente wurden gesprochen und es redeten auch mal alle durcheinander. Englisches Theater für internationales Publikum ist eine notwendige und berechtigte Option in einer Weltstadt wie Berlin. Dass es aber nun der Standard an der Volksbühne sein soll, ist zumindest fragwürdig. Auch Dercons Utopie einer neuen Schauspielkunst, die sich von heute auf morgen völlig von der Tradition befreit, ist am Ende also keine Lösung für die angestaubte deutsche Theaterlandschaft. Zumindest nicht für dieses Schauspielhaus.

Yael Bartana: What if Women Ruled the World?
Volksbühne | 12.–14.04.18 (auf Englisch ohne Übertitel)
Restkarten an der Abendkasse

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