Poesie mit mathematischer Genauigkeit

Was ist das für eine Wonne, einmal wieder Musik zu hören, in der Gesangsmelodie, Stimmen-Komposition und Texte neben Instrumentalsound und Rhythmus als gleichwertiger und -gewichtiger Teil der Songwriting-Kunst mitbegriffen werden. Kunst wird hier in seiner doppelten Bedeutung als Handwerk und Kreativschöpfung hörbar. Selten klingt das so leichtfüßig und natürlich.

The Sound of Everything ist kein Album, das man gewinnbringend nebenbei hören kann. Zu viel Aufmerksamkeit beanspruchen die ausgefeilten Stücke und zu einnehmend ist der eigenwillige Zauber, der sich bereits nach den ersten nur zaghaft angeschlagenen Noten über einen legt. Mit lockeren Pinselstrichen zeichnet das Seattle-Duo Kristian Garrard und Luke Bergman Gesangslinien von vollendeter Schönheit in den akustischen Klangraum: erst eine endlos scheinende, spielerisch chromatisch sich aufwärts schraubende Tonleiter, setzt einige Taktschläge ab, um diese eine Oktave tiefer zu wiederholen, hüpft dann von Dur in Moll-Harmonien und endet in einer zweistimmig eingesungenen Auflösung. So ungefähr.

Wer versucht, das einmal nach- oder mitzusingen, wird die Schwierigkeit erkennen, die richtigen Töne zu treffen, wenn Songwriter-Pop komponiert ist und nicht nur hingeseufzt, genuschelt oder genölt. Da zischt das ssss, da perlt das p, da flüstert das f, da wärmt das w, kehlt das k, brummt das b, dröhnt das d und gurrt das g – onomatopoetische Gesangskunst, die als Beispiel pop-verträumter Art demonstriert, warum es Sinn macht, Klang und Worte nach einem gemeinsamen poetischen Prinzip zu verbinden. Das muss man laut lesen: „ohoh, where are the signs, the iron spikes, block out the skies’ light … ohoh, echoes of silver rings, king-white face leads the pale … let’s cease we all were sons of mercury, no breezes calm us down, no darkness hides civilized, no truth inside …“

Jeder verbal geäußerte Laut ist auf The Sound of Everything durchdringend klar artikuliert, wie ein strahlend blauer Himmel an einem schneidend kalten Wintermorgen. Und die Silbenperlen prallen einzeln zurück wie die Sonnenstrahlen von der gefrorenen Eisdecke eines Waldsees. Die warmen, mal dezent gezupften, mal treibend gepickten Lines der zwei Akustikgitarren umschmeicheln dabei die Sprachkunst und ergeben in ihren Obertönen sogar eine dritte (innere) Stimme.

Ein Album, dem man nicht anhört, dass es sich um ein Debüt handelt. Der Plattentitel verdankt sich dem Umstand, dass THOUSANDS ihre Songs samt Umgebung mal hier und mal da entlang der nordwestlichen Pazifikküste, in Räumen und im Freien aufgenommen haben – ein bisschen von überall eben, wie man an Vogelgezwitscher und wechselnder Umgebungsakustik deutlich hören kann. Und am verwischten Albumcover zwischen Natur und Kunst vielleicht auch sehen soll.

Freilich, nicht jedem sagt so strukturierte Popmusik zu, und auch die äußerst sanften, dünnen Kopfstimmen sind auf Dauer sicherlich Geschmackssache. Soviel muss man aber unumwunden feststellen: THOUSANDS legen mit The Sound of Everything ein Debüt vor, das im künstlerischen Anspruch seinesgleichen sucht. Wer aber kein Problem mit ausgestellten Kadenzen, abrupten Rhythmuswechseln und ein bisschen Harmonielehre hat, dem sei auf jeden Fall zur Platte geraten.

(Diese Rezension erschien zuerst auf Popmonitor.berlin.)

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THOUSANDS
The Sound Of Everything
(Cooperative / Universal)
VÖ: 18.03.2011

www.thousandsband.com

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